Die Offenlegungsverordnung und der Entwurf zu den technischen Regulierungsstandards

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Seit einiger Zeit versucht die Europäische Union im Rahmen ihrer (legislativen) Möglichkeiten, dem Klimawandel und dem gesteigerten öffentlichen Interesse an nachhaltigen Produkten und einer nachhaltigeren Welt auch im Finanzsystem Rechnung zu zollen.

In diesem Zusammenhang hat die Europäische Kommission 2018 ihren Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums veröffentlicht. Nachhaltigkeit im Finanzwesen soll vor allem durch die Berücksichtigung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG-Faktoren) gewährleistet werden. Daher umfasst Nachhaltigkeit in der von der Europäischen Kommission angedachten Form neben umweltbezogenen Faktoren (zB Anpassung an den Klimawandel) auch soziale Faktoren (zB Bekämpfung der Ungleichheit); Governance spielt bei der Miteinbeziehung dieser Komponenten in den Entscheidungsprozess innerhalb der Unternehmen eine wesentliche Rolle.

Mit der Verordnung 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor ("Offenlegungsverordnung") werden Finanzmarktteilnehmer dazu verpflichtet, einerseits Kunden über die Nachhaltigkeit ihrer Finanzprodukte und die Berücksichtigung nachteiliger Nachhaltigkeitsauswirkungen in ihren Prozessen zu informieren und andererseits die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken offenzulegen. Unter Nachhaltigkeitsrisiken versteht man nach Vorgabe der Verordnung Ereignisse oder Bedingungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, deren Eintreten tatsächlich oder potenziell wesentliche negative Auswirkungen auf den Wert einer Investition haben könnte. Der Begriff "Nachhaltigkeitsrisiko" scheint für das intuitive Verständnis unvorteilhaft gewählt, da darunter nicht das Risiko eines negativen Einflusses einer Investition auf die Bereiche Umwelt und Soziales verstanden wird (wie dies nach deutschem Sprachgebrauch sonst der Fall ist – man denke an Gesundheitsrisiko, Umweltrisiko, Unfallrisiko), sondern eben das Risiko von negativen Ereignissen in diesen Bereichen für den Wert der Investition. Die Berücksichtigung von nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen in den Prozessen der Finanzmarktteilnehmer sowie die verpflichtende Bereitstellung von Informationen über die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten scheinen daher im Sinne einer angestrebten Ausrichtung hin zu mehr Nachhaltigkeit im Finanzwesen bedeutsamer.

Durch diese Vorgaben soll erreicht werden, dass Anleger ihre Investitionsentscheidungen unter Berücksichtigung von Umwelt- und Sozialfaktoren tätigen können. Das Aufgreifen des Nachhaltigkeitsgedankens und dessen Berücksichtigung in der europäischen Gesetzgebung soll auch dabei helfen, (institutionelle) Anleger weiter für das Thema zu sensibilisieren. Darüber hinaus kann durch die aus den Offenlegungspflichten resultierende zusätzliche Transparenz das Risiko des Greenwashing verringert werden. Unternehmen betreiben Greenwashing, wenn sie Produkte als umweltfreundlich oder nachhaltig bewerben und verkaufen, obwohl die Produkte diese Eigenschaften nicht erfüllen. Das gleiche gilt für Unternehmen, die sich mit den Federn nachhaltiger Tätigkeit schmücken, obwohl ihre Tätigkeit tatsächlich nicht nachhaltig ist.

Nach den Vorgaben der Offenlegungsverordnung hat die Europäische Kommission die Befugnis, die inhaltlichen Anforderungen an die Offenlegung anhand technischer Regulierungsstandards zu ergänzen. Die Entwürfe der technischen Regulierungsstandards werden vom gemeinsamen Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden (EBA, ESMA und EIOPA) entwickelt und erstellt. Die Befugnis des gemeinsamen Ausschusses zur näheren Ausgestaltung der technischen Regulierungsstandards bezieht sich im Wesentlichen auf zwei große Themenbereiche, einerseits auf die Unternehmensebene und anderseits auf die Produktebene. Der finale Report wurde am 4. Februar 2021 veröffentlicht und laut Erwartungen des gemeinsamen Ausschusses wird die Europäische Kommission die Vorschläge zu den technischen Regulierungsstandards innerhalb der nächsten drei Monate genehmigen.
 

Nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen und Nachhaltigkeitsrisiken auf Ebene des Unternehmens

Für den Fall, dass ein Finanzmarktteilnehmer nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen in seine Investitionsentscheidungsprozesse miteinbezieht, sieht Artikel 4 hierzu eine auf der Website zu veröffentlichende Erklärung vor, in welcher die wichtigsten nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen anhand verschiedener Indikatoren darzulegen sind. Diese Indikatoren aus den Bereichen Klimawandel und Umwelt, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption gliedern sich in eine Kernmenge von universellen Pflichtindikatoren und zusätzlichen Opt-In Indikatoren. Während erstere jedenfalls zu nachteiligen Nachhaltigkeitseffekten von Investitionsentscheidungen führen, dienen zweitere zur Identifizierung, Bewertung und Priorisierung zusätzlicher nachteiliger Nachhaltigkeitsauswirkungen. Die Pflichtindikatoren für Investitionen umfassen nach dem Entwurf der technischen Regulierungsstandards 18 verschiedene Indikatoren, wobei für Investitionen in Unternehmen 9 Indikatoren aus dem Umweltbereich und 5 Indikatoren aus dem Sozialbereich maßgeblich sind. Zusätzlich gibt es 4 spezielle Indikatoren für Investitionen in Staaten und supranationale Unternehmen sowie für Immobilieninvestitionen. Für jeden Indikator ist hierbei über die Auswirkungen im laufenden sowie im abgelaufenen Jahr zu berichten und die getroffenen (und geplanten) Maßnahmen sind zu beschreiben.

Neben der Definition der Pflichtindikatoren legen die technischen Regulierungsstandards auch die Berechnungsmethode für einzelne Indikatoren fest. Die Überlegung hinter diesen Berechnungsvorgaben scheint zu sein, Pflichtindikatoren anhand einer Kennzahl darzustellen, die anhand der Anteile der unter diesen Pflichtindikator zu subsumierenden Investitionen an der Gesamtheit aller Investitionen des Finanzmarktteilnehmers berechnet wird. Im Falle des Pflichtindikators "Treibhausgasintensität" werden dabei etwa die Treibhausgasemissionen eines Unternehmens in Verhältnis zu seinem Umsatz gesetzt und mit dem Anteil, den die Investition in dieses Unternehmen an der Gesamtheit aller Investitionen des betreffenden Finanzmarktteilnehmers erreicht, gewichtet. Die Verwendung des gewichteten Mittels bei der Berechnung des Pflichtindikators hat erscheint hier berechtigt und methodologisch nachvollziehbar. Dennoch könnte diskutiert werden, ob der den Pflichtindikator eigentlich definierende Faktor, der zur Berechnung herangezogen wird, auch dem tatsächlichen Ziel des Pflichtindikators entspricht. So bleibt etwa im oben genannten Fall der Treibhausgasintensität die Frage, ob sich dadurch, dass die Treibhausgasemissionen ins Verhältnis zum Umsatz eines Unternehmens gesetzt werden, Unternehmen mit negativer Umsatzentwicklung einen stärkeren Einfluss auf den Pflichtindikator haben und in der finalen Kennzahl "überrepräsentiert" werden; dies aufgrund der Überlegung, dass (stärkere) Umsatzfluktuationen eines Unternehmens zwischen zwei Indikatorberechnungen häufiger vorkommen können und werden, die Treibhausgasemissionen des Unternehmens im gleichen Zeitraum wahrscheinlich jedoch nicht den gleichen relativen Veränderungen ausgesetzt sind. Dahinter steht die Ratio, dass ein geringerer Umsatz nicht notwendigerweise auf eine geringere Produktion (und andere treibhausgasemittierende Prozesse) zurückzuführen ist. Dadurch wird bei Umsatzrückgang der Beitrag des Unternehmens zur Kennzahl im Jahresvergleich steigen und damit solche Unternehmen unangemessenen Einfluss auf die finale Gesamtkennzahl "Treibhausgasintensität" haben.

Bei Investitionen in Unternehmen sind als wesentliche Pflichtindikatoren im Umweltbereich Treibhausgasintensität, Treibhausgasemissionen, CO2-Fußabdruck, Wasseremissionen sowie die Giftmüllquote zu nennen. Soziale Pflichtindikatoren sind etwa fehlende Diversität im Leitungsorgan, Verletzung der OECD Leitsätze für multinationale Unternehmen sowie ein unbereinigtes geschlechtsabhängiges Lohngefälle (Gender pay gap). Die Pflichtindikatoren bei Investitionen in Staaten oder supranationale Organisationen sind Treibhausgasintensität sowie die Verletzung von internationalen Verträgen oder den Prinzipien der Vereinten Nationen. Die beiden Pflichtindikatoren für Immobilieninvestitionen betreffen Belastungen durch Investitionen in energieineffiziente Immobilien oder in Immobilien für die Gewinnung, Lagerung, Transport oder Herstellung von fossilen Brennstoffen.

Sofern ein Finanzmarktteilnehmer nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen in seinen Investitionsentscheidungen nicht berücksichtigt, hat er klare Gründe für dieses Verhalten auf seiner Website zu veröffentlichen sowie darzulegen, ob und gegebenenfalls, wann er beabsichtigt, diese Auswirkungen zu berücksichtigen. Während die Regeln zur Veröffentlichung, die sich aus der Offenlegungsverordnung ergeben, seit 10. März 2021 anwendbar sind, sollen die durch die technischen Regulierungsstandards vorgeschlagenen Verfeinerungen erst ab 1. Januar 2022 anwendbar sein.

Darüber hinaus haben die Finanzmarktteilnehmer gemäß Artikel 3 der Offenlegungsverordnung auf ihrer jeweiligen Unternehmenswebsite Informationen zu ihren Strategien zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken bei ihren Investitionsentscheidungsprozessen zu veröffentlichen.
 

Nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen auf Ebene des Finanzprodukts

Art 7 der Offenlegungsverordnung sieht ab 30. Dezember 2022 Offenlegungspflichten für Finanzprodukte auf der Website jener Finanzmarktteilnehmer vor, die nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen in Ihre Investitionsentscheidungen miteinbeziehen. Offenzulegen sind gemäß Art 7 klare und begründete Erläuterungen dazu, ob (und wie) bei einem Finanzprodukt die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden. Hierbei unterscheidet die Verordnung Finanzprodukte, mit denen eine nachhaltige Investition angestrebt wird (Art 9) und Finanzprodukte, mit welchen ökologische oder soziale Merkmale beworben werden (Art 8). Daneben existieren weiterhin jene Finanzprodukte, die in keine der zwei vorgenannten Kategorien fallen.

Der wesentliche Unterschied zwischen Finanzprodukten nach Art 8 und Art 9 besteht im Umfang, in dem die Produkte der Idee der Nachhaltigkeit unterworfen sind. Während, Finanzprodukte, die unter Art 8 zu subsumieren sind, lediglich ökologische oder soziale Merkmale in der Investitionsentscheidung berücksichtigen, verfolgen unter Art 9 fallende Finanzprodukte ein bestimmtes Nachhaltigkeitsziel (wie etwa die Reduktion von CO2 oder ein spezifisches soziales Ziel), weshalb die Verordnung bei Letzteren detaillierte Erläuterungen verlangt, wie die Erreichung dieses Ziels gewährleistet wird. Eine nachhaltige Investition im Sinn von Art 9 zeichnet sich auch dadurch aus, dass die Investition kein ökologisches oder soziales Ziel der Verordnung wesentlich beeinträchtigt und dass die Unternehmen, in die investiert wird, Verfahrensweisen einer guten Unternehmensführung anwenden.

Für beide Arten von Finanzprodukten bestehen laut Verordnung zusätzliche Offenlegungspflichten, etwa in vorvertraglichen Dokumentationen. Die Entwürfe der technischen Regulierungsstandards sehen vor, dass im Zuge der vorvertraglichen Dokumentation in einer Erklärung dargelegt wird (i) ob mit dem Finanzprodukt irgendwelche nachhaltigen Investitionen beabsichtigt werden, (ii) ob das Produkt ökologische oder soziale Merkmale bewirbt oder nachhaltige Investitionsziele vorsieht, und (iii) ob ein Index als Referenzwert festgelegt wurde, anhand dessen die Erreichung der mit dem Finanzprodukt verfolgten ökologischen oder sozialen Ziele überprüft werden kann. Weiters sollen die wesentlichen Informationen über das Produkt durch die Beantwortung von vorformulierten Fragestellungen dargestellt werden. Diese werden in Art 13 und 20 definiert; Templates zur vorvertraglichen Dokumentation finden sich in Anhängen II und III (für Finanzprodukte nach Art 8 und 9) der Regulierungsstandards.

Auch in den regelmäßigen Berichten der Finanzmarktteilnehmer ist auf diese Kategorien von Finanzprodukten einzugehen. Dabei soll erläutert werden, ob die sozialen oder ökologischen Merkmale erfüllt wurden, sowie die Gesamtnachhaltigkeitswirkung des Finanzprodukts anhand von Nachhaltigkeitsindikatoren oder durch einen Vergleich mit einem bestimmen Index beurteilt werden. Auch zu den regelmäßigen Berichtspflichten betreffend die Finanzprodukte stellen die Regulierungsstandards Templates in Annexes IV und V zur Verfügung. Wie im Fall der vorvertraglichen Dokumentation setzt sich auch bei den periodischen Berichtspflichten der Bericht aus der Beantwortung von fünf wesentlichen Fragen zusammen; diese werden in Art 58 und 64 der technischen Regulierungsstandards definiert.

Weiters haben die Finanzmarktteilnehmer auf Ihrer Website Informationen zu Finanzprodukten nach Art 8 und Art 9 zu veröffentlichen und auf dem neuesten Stand zu halten. Dies umfasst vor allem die Beschreibung der ökologischen und sozialen Merkmale oder des nachhaltigen Investitionszieles, die damit verbundenen Mess-, Bewertungs- und Überwachungsmethoden sowie Angaben zu den Nachhaltigkeitsindikatoren, die zur Messung der Nachhaltigkeitsauswirkungen herangezogen werden. Diese Informationen müssen auf der Website an leicht zugänglicher Seite platziert, sowie klar und für Anleger verständlich formuliert sein.
 

Ausblick

Auch wenn abzuwarten bleibt, ob die Europäische Kommission die Entwürfe des gemeinsamen Ausschusses in der veröffentlichten Form genehmigen wird, zeigt sich bereits, dass Investieren auf Basis nachhaltiger und transparenter Finanzprodukte nicht mehr nur eine Modephrase der Gegenwart ist. Durch die hier kurz umrissene Verordnung und den die Verordnung präzisierenden Entwurf der technischen Regulierungsstandards wird ein wesentlicher Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit im Finanzwesen gesetzt. Durch Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Gegebenheiten bei Investitions- und Finanzproduktentscheidungen wird jeder Investor selbst die Möglichkeit haben, Nachhaltigkeit gezielt zu fördern. Auf Finanzmarktteilnehmerseite führen diese mit 10. März 2021 in Kraft getretenen Offenlegungspflichten jedenfalls zu einem (organisatorischen) Mehraufwand, der in seiner Gesamtheit und Umfang jedenfalls beträchtlich – und wahrscheinlich noch nicht vollständig abschätzbar – ist.
 

Gerne stehen unsere Spezialisten in den jeweiligen Fachgebieten zu Ihrer Verfügung.